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Longo-maï-Aufruf zur Unterstützung der ZAD

Sonntag 21. Mai 2017

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Schon seit einigen Jahren verfolgen wir mit Interesse, was in Notre-Dame-des-Landes in der Bretagne, einige Kilometer von Nantes entfernt, passiert. Die Kämpfe, die sich dort abspielen, freuen uns und erfüllen uns mit Hoffnung. Die 1650 ha Bocage [1]., die die ZAD [2] ausmachen, sind eins der Gelände in Europa, wo der Widerstand gegen die techno-industrielle Eskalation und den Überkonsum und gleichzeitig eine immense Lust am gesellschaftlichen Experimentieren mit großer Kraft und Klarheit zum Ausdruck kommen.

In dem Text «Die Krise, ein Angriff» hat Longo maï 1973 festgestellt, dass die Zukunft für die Jugend ernüchternd ausschaut und vorgeschlagen, sich entvölkerte ländliche Gebiete anzueignen, um dort mit Lebensformen zu experimentieren und die materielle Basis für Autonomie zu schaffen. Diese Initiative hat im Laufe der Jahre zehn selbstverwaltete Kooperativen in fünf Ländern Europas geschaffen, eine Bewegung, die sich zur aktiven Solidarität und zur Veränderung der Gesellschaft bekennt.

In Notre-Dame-des-Landes wehrt man sich seit 40 Jahren gegen den Bau eines weiteren Flughafens [3]. durch Vinci (weltweit das größte Bauunternehmen im öffentlichen Sektor) und die Welt, die dazugehört: der zügellose Rythmus der Billig-Flieger, die Ausweitung der Metropole von Nantes auf Kosten fruchtbarer Böden, die Zerstörung einer aussergewöhnlichen Biodiversität. Mit dem Aufruf zur Besetzung im Jahr 2008 begann eine neue Phase des Kampfes, der anfangs von einigen widerspenstigen Bäuer*innen und Einwohner*innen, unterstützt von einem bedeutenden Teil der Bevölkerung in der Umgebung, geführt wurde. Seither mischen sich hier Menschen mit sehr unterschiedlichen Analysen und Konzeptionen, die Bocage erfüllen jetzt Häuser und Höfe, die vor der Zerstörung gerettet und besetzt wurden, eine Vielzahl von Hütten und verschiedenartige Konstruktionen, Gemüsegärten, Werkstätten, Getreidefelder und Bäckereien, Käsereien, Konserverien, Nicht-Markt-Strukturen (Märkte mit freier Abgabe oder freiem Preis), Bibliotheken, Konzert- und Versammlungssäle, eine Krankenstation, ein Radio, das auf der ZAD sendet, Freiräume für Kinder. Das alles wird von ein paar hundert Einwohner*innen geteilt «ein Archipel, wo sich verschiedenartige Gruppen vermischen, die sich manchmal gemeinsam organisieren, manchmal nebeneinander, um die Infrastrukturen zu halten, die mit der gesamten Bewegung geteilt werden.» [4] Obwohl die Drohung, geräumt zu werden, ständig in der Luft schwebt, kommt in den Projekten und Bauten zum Ausdruck, dass die Bewohner*innen lange hier bleiben wollen.

Wir wollen das Leben auf der ZAD nicht verherrlichen und die Konflikte, die die unterschiedlichen Analysen und Praktiken mit sich bringen, nicht leugnen, aber dennoch: Die Bewegung schafft es, stärker zu werden und offen zu bleiben. Die große Vielfalt der Personen, die am Kampf gegen den Flughafen teilnimmt (Bäuer*innen, Besetzer*innen, Bürgerinitiativen, Abgeordnete, Umweltschützer*innen) wächst zu einer großen Kraft und garantiert Langlebigkeit [5].

Der bestehenden Gesellschaftsordnung auf diese Weise eine lange Nase zu drehen, konnte nur tiefe Mißbilligung und die Repression des Staates provozieren. Ein Polizeieinsatz unter dem Namen «Operation Cäsar» zur Räumung der Besetzung mit brutalen Methoden hat im Oktober 2012 hunderte Verletzte unter denen, die die Zone verteidigen, gefordert. Er war ein aufsehenerregender Mißerfolg und hat paradoxerweise dazu beigetragen, eine neue Dynamik zu entfachen: Zur Wiederbestezung einen Monat später kamen 40 000 Leute. Die veränderten Vorraussetzungen lösten eine riesige Bauwelle auf der Zone aus. Aber noch immer lastet die Drohung der Räumung auf der ZAD, mal mehr mal weniger intensiv. Der Kampf gegen den Flughafen findet in Frankreich viel Unterstützung: In mehr als 200 Solidaritätskomitees arbeiten Personen aus unterschiedlichen Kreisen zusammen, darunter einfache Mitbürger*innen, Gemeinderäte, Gewerkschafter*innen, Universitätsangehörige und Journalist*innen. Regelmäßig treffen sich tausende Leute, um über Themen wie Land- und Forstwirtschaft und soziale Fragen zu diskutieren und eine gemeinsame Zukunft zu entwerfen. In Longo maï kennen wir diese Art von fröhlichem Tumult, wir sind solidarisch mit diesem Kampf. Wir stimmen überein bei grundlegenden Entscheidungen, wie etwa die Ablehnung der Allgegenwart des Geldes im täglichen Leben, die Einrichtung von Gemeingütern, die Lebensmittelautonomie, die Kritik an moralischen und institutionellen Strukturen, die angeblich unsere Welt verwalten. Wir machen uns die gleichen Sorgen, das hat im Laufe der Zeit zu einem wirklichen Gefühl der Verbundenheit geführt. Gemeinsam praktizieren wir aktive Solidarität gegen schädliche und größenwahnsinnige Projekte, mit dem Kampf der Indigenen in Mexiko, für die Verteidigung des Landes und des Waldes. Wir engagieren uns an der Seite von Migrant*innen und Flüchtlingen.

Auf der ZAD muss der Aufbau eines gemeinschaftlichen, kreativen Projektes frei von Zwängen unbedingt weitergehen, und zwar im Bruch mit den Dogmen der industriellen Landwirtschaft und den sozialen Beziehungen, die vom Geist des Wettbewerbs ‘jeder gegen jeden’ geprägt sind. Ein hierarchiefreies, widerspenstiges, umfassendes und großzügiges Projekt, das sexistische, rassistische und homophobe Verhaltensweisen ausschließt. Falls das Flughafenprojekt fallengelassen wird, wäre es ungerecht, dass das Gelände - eine naturbelassene und geschützte Enklave - den Leuten zurückgegeben wird, die die ganze Region massiv verseucht und sich an der Ausbreitung der industriellen Landwirtschaft beteiligt haben. Es wäre unakzeptabel, dass jene, die den Ort zubetonnieren wollten, nur um sich noch ein bischen mehr zu bereichern, weiterhin ein Kontrollrecht über seine Zukunft hätten.

Die Räumung der ZAD würde die Zukunft zahlreicher anderer Kämpfe aufs Spiel setzen, wie etwa die gegen ein touristisches Riesenprojekt in Roybon, gegen ein Atommüll-Endlager in Bure, im Susatal in Italien gegen die neue Hochgeschwindigkeitstrasse Lyon-Turin ...

Als internationale Bewegung will Longo maï den Kampf um die ZAD über Frankreich hinaus bekannt machen. Deshalb rufen wir unsere Freund*innen überall in Europa auf, die ZAD zu entdecken und sie im Falle eines neuerlichen Räumungsversuchs zu verteidigen. Die ZAD braucht eure Unterstützung: - Übt mit allen Mittel Druck auf den französischen Staat und das Unternehmen Vinci aus; - Zeigt eure Solidarität und macht diesen Kampf um euch herum bekannt, indem ihr die Broschüre «Die ZAD verteidigen» verbreitet (in mehreren Sprachen auf: constellations.boum.org) Die Bewegung der europäischen Kooperativen Longo maï, Limans, April 2017 Kontakt: longomaicall@riseup.net

Anmerkungen

[1Bocage: Landschaftstyp im Nord-Westen Frankreichs.

[2ZAD: Zone à défendre – Verteidigungszone. Eigentlich: Zone d’aménagement differée – Bauerwartungsland.

[3Es existiert bereits ein internationaler Flughafen ‘Nantes Atlantique’, der etwa so groß ist wie derjenige von Genf, allerdings mit dreimal weniger Flugaufkommen.

[4Auszug aus der Broschüre «De la ZAD aux communaux» zu finden unter: zad.nadir.org.

[5Die Entschlossenheit der Bewohner*innen, die Zukunft der ZAD gemeinsam zu gestalten, kommt in dem Text «6 Punkte zur Zukunft der ZAD» von 2015 deutlich zum Ausdruck, unter: constellations.boum.org.